Double Diabetes: Wenn sich zum Typ-1- ein Typ-2-Diabetes gesellt

Kann ein Mensch mit Typ-1-Diabetes zusätzlich Typ-2-Diabetes entwickeln? Ja – und das Phänomen des „Double Diabetes“ (dt. Doppel-Diabetes) ist alles andere als selten und nimmt stetig zu, erklärt Prof. Dr. Othmar Moser, Professor für Sportmedizin an der Universität Bayreuth. Das Thema ist seit den 1990er Jahren in der Medizin bekannt und hält auch Einzug in die Leitlinien. So ist in der 2023 erneuerten evidenzbasierten Leitlinie der Deutschen Diabetes Gesellschaft zur Behandlung des Typ-1-Diabetes das Thema in einem Unterkapitel aufgenommen.

Double Diabetes

Bei “Double Diabetes” können ernste Konsequenzen drohen: Das Risiko für schwere mikro- und makrovaskuläre Komplikationen potenziert sich für Menschen mit Typ-1-Diabetes, die gleichzeitig Typ-2-Diabetes bekommen. Double Diabetes droht, wenn zu einem Typ-1-Diabetes mindestens ein Kennzeichen des metabolischen Syndroms kommt – also etwa Übergewicht/Adipositas, Bluthochdruck oder eine Fettstoffwechselstörung. Mit dem Übergewicht nimmt die Insulinresistenz zu, in der Folge steigt der Insulinbedarf und das kann für Menschen mit Typ-1-Diabetes die Diagnose „Double Diabetes“ bedeuten. „Neben einer familiären Vorgeschichte mit Typ-2-Diabetes ist vor allem Übergewicht der größte Risikofaktor für Menschen mit Typ-1-Diabetes, einen Double Diabetes zu bekommen“, sagt Moser.

Für die Diagnose gibt es eine wissenschaftliche Formel: Die „Estimated Glucose Disposal Rate“ wird über Hüftumfang, HbA1c, Bluthochdruck und weitere Konstanten errechnet. In der Praxis wird dieser Wert aber kaum genutzt, vielmehr erkennen Diabetes-Teams das Phänomen daran, dass die Gesamtinsulindosis bei ihren Patient*innen mit Typ-1-Diabetes im Laufe der Zeit massiv steigt und ständig erhöht bleibt. „Menschen mit Typ-1-Diabetes selbst merken das auch, wenn sie aufmerksam sind – außer bei Hybrid- oder Closed-Loop-Systemen, die automatisiert die Insulindosis anpassen“, ergänzt Moser. „Daher sollte man in diesen Fällen regelmäßig die abgegebenen Gesamtdosen kontrollieren, um einen beginnenden Double Diabetes nicht zu übersehen.“

Die beste Therapie: ein gesunder Lebensstil

Was aber tun, wenn bereits ein Double Diabetes vorliegt? Die primäre und beste Intervention bei Double Diabetes ist eine lebenslange und kontinuierliche Lifestyle-Intervention genauso wie zur Prävention von Typ-2-Diabetes bei Menschen ohne vorbestehenden Typ-1-Diabetes. Die Grundbausteine der Lebensstilintervention sind: individualisierte Ernährungs- und Bewegungsintervention sowie psychologische Unterstützung. Bezüglich der Ernährung empfiehlt Prof. Moser: “selbst kochen, keine gesättigten Fettsäuren und Transfette, wenig Einfachzucker, pflanzliche Proteine und immer nur so viel essen, bis man satt ist. Snacks sind möglich, aber bitte gesund.”

Bei der Bewegungsintervention differenziert Moser zwischen einer erhöhten Alltagsaktivität – etwa dadurch, dass man beim Einkauf möglichst weit entfernt vom Supermarkt parkt, um mehr zu laufen und auf dem Rückweg mit den Einkäufen gleich noch ein Krafttraining einzulegen. Für das zusätzliche Training rät Moser zu einer Kombination aus regelmäßigem Ausdauer- und Krafttraining. „Eine gute Möglichkeit ist das ‚Prime-time-Training‘ – tägliches Krafttraining mit Eigenkörpergewicht während der ersten 15 Minuten seiner Lieblingssendung vor dem Fernseher.“ Mit diesen drei Faktoren habe man ein geringeres Risiko für Double Diabetes. „Ist Double Diabetes bereits vorhanden, kann man so bereits nach wenigen Tagen beobachten, dass man wieder weniger Insulin braucht.“

Double Diabetes nimmt zu

Folglich ist laut Moser auch eine Remission des Typ-2-Diabetes mit kurzer Diabetesdauer (< 3 Jahre) und der gestörten Insulinempfindlichkeit möglich. In einer Langzeitstudie hatten Menschen mit Typ-2-Diabetes mit hochintensiver Lifestyle-Intervention eine Remissionsrate von 61 Prozent – das lasse sich eventuell auch auf Double Diabetes übertragen. „Das Ziel sollte darin bestehen, dass der Mensch mit Typ-1-Diabetes alle Optionen für eine bestmögliche, individualisierte Therapie erhält“, sagt Moser. Um diesen Zustand zu erreichen, sei eine lebenslange Therapie nötig. „Aber es gibt Schlimmeres, als ein gesundes Leben mit physischer Aktivität zu führen“, ergänzt er.

In der Praxis nimmt das Körpergewicht in der Gesamtpopulation aber seit Jahren zu – nicht erst seit der Pandemie. Damit steigen das Risiko für und die Fallzahlen von Double Diabetes. „Wir mussten den BMI als Einschlusskriterium für unsere Studien über die Jahre hinweg kontinuierlich anheben, um Probanden und Probandinnen zu finden“, untermauert Moser diese Beobachtung. Laut internationaler Aktivitätenrichtlinie sollte man für ein gesundes Leben 150 Minuten pro Woche mit moderater Intensität aktiv sein.

Nicht immer ist ein gestörter Rezeptor schuld an erhöhtem Insulinbedarf bei Typ-1-Diabetes. Auch eine erhöhte Zuckerproduktion der Leber in Folge von aktuellen Lebensumständen wie Stress oder beruflichen Veränderungen kann den erhöhten exogenen, also äußerlich zugeführten Insulinbedarf erklären. Moser resümiert daher: „Um Double Diabetes verlässlich zu erkennen, müssen sich Diabetologen und Diabetologinnen Zeit für Menschen mit Typ-1-Diabetes nehmen und genau hinsehen, denn die Diagnose ist eine subjektive, klinische Einschätzung.“

Zur Person:
Der studierte Physiologe Prof. Dr. Othmar Moser, Leiter des Lehrstuhls für Sportmedizin an der Universität Bayreuth, forscht seit über zehn Jahren unter anderem über die Therapieanpassung bei Typ-1-Diabetes und physischer Aktivität. Neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit betreut der Österreicher regelmäßig in einer Spezialambulanz am Uniklinikum Graz Menschen mit Diabetes. Im November 2023 verlieh die Österreichische Diabetes Gesellschaft Moser den Daiichi Sankyo Preis für sein Projekt zur Messgenauigkeit von simultan benütztem rtCGM im Vergleich zu isCGM während des Sports bei Erwachsenen mit Typ-1-Diabetes.

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Letzte Aktualisierung am 07.03.2024

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